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  Amir Khusro
 



 
Amir Khusro



 Khossrau, bekannt als Amir  Khossrau Dehlawi, (andere Schreibweisen: z.B. in Indien „Amir Khusro“,  „Hazrat Khausro“ oder „Khusrau Dehlavi“ (1)) erblickte im Sonnenjahr 632 (1253 n. Chr.) in der indischen Kleinstadt Patiali im Bundesstaat Uttar Pradesh in Hindustan das Licht der Welt. Manche behaupten, dass sein Geburtsort der ähnlich klingende Ort Patiala im Vierstromland Punjab (wörtlich: Pandj = "fünf", aab = Wasser") sei, und wieder andere wollen als seinen Geburtsort die historische Stadt Balch wissen. 

Amir Khossrau Dehlawi zählen manche Biographen zu den zu Turkmenen oder Hazara gehörigen Stämme Zentralasiens. Sein Vater, Amir Saifuddin, ein Fürst von Balch (heute Provinz in Afghanistan), wanderte aus politischen Gründen und wegen Invasion und Krieg nach Indien aus. Anfang des 13. Jahrhunderts, beinahe zu gleicher Zeit verließ die Familie von Djalaluddin Balchi (im Westen als „Rumi“ bekannt), aus denselben Gründen die Stadt und siedelte sich nach langer Wanderschaft und diverser Pilgerfahrt schließlich in der damaligen Region „Rum“ (der heutigen türkischen Stadt Konya) an. 

Nach dem Tod seines Vaters wurde  Khossrau in Indien von seinem Großvater mütterlicherseits nahe der heutigen Stadt Delhi (wörtlich „Herz“) - weshalb er den Ehrentitel Dehlawi bzw. Dehlavi („Bürger von Delhi bzw. des Herzes) trägt - in den Fächern Grammatik, Literatur und Musik unterrichtet. Neben Farsi und Hindi eignete er sich in jungen Jahren Sanskrit und Arabisch an. 

Die Mutter von Khossrau, eine gebürtige Inderin und die Tochter von Emad ul Mulk, schulte den achtjährigen Sohn in eine „Khanaqa“ (Meditationseinrichtung) ein, die Hazrat e Nizamuddin (auch Nezamuddin) leitete. Der herausragende Mystiker ist der spirituelle Mentor vom jungen Khossrau. Khossrau , der zu den großen Dari-Dichtern auf dem indischen Subkontinent wurde, soll zwar anfangs gegen die Einschulung getrotzt haben. Doch bezeichnete er seinen Lehrer in späteren Jahren als „Nezamuddin Auwlia, gesprochen „Aulia“ (großer heiliger Gelehrte), den er lebenslang verehrte. 

Khossrau verfasste 92 Werke in Farsi, Urdu, Hindi und Arabisch. Seine Werke enthalten Gedichte und Prosa. Zu den bekanntesten Werken des Dichters gehören „Taj ul Fatah“ (Krone und Sieg), Tughlaq Nama (Brief über Tughlaq – einen Fürst in Nordindien), „Schirin und Khossrau“, „Leila und Majnun“. Ferner schrieb er über „Khamsa e Nezami“ (das aus fünf Epen bestehende Werk von Nezami Ganjawi) bzw. Panj Ganj (Fünf Schätze)*

  • * Panj Ganj (darin fünf Schätze) bzw. "Chamse" (arabisch «Fünf»), das aus fünf Epen besteht:

  •   "Machzan ol-Asrār" (Der Schatz der Geheimnisse)

  •   "Chosrou und Schirin" (Liebesgedichte aus der iranischen Mythologie)

  •   "Laili und Madschnun" (Liebesgeschichte)

  •   "Eskandar-Nāme") (Das Buch über Alexander)

  •   "Haft Peykar" (Die sieben Bildnisse)

Amir Khossrau ist von der Dichtung seines Namensvetters Nasser Khossrau Balkhi (1003-1078) beeinflusst. In einem Gedicht seines Vorgängers heißt es u.a.: „Du bist vom Mensch geboren, sei auch ein Liebhaber der Menschen. Wozu streben nach Ungeheuer? Sei nur noch ein Mensch.“ Dehlawis Dichtung ist ebenfalls von dem Weisen von Shiraz, Saadi Schirazi (etwa zwischen 1200? bis 1291? ), geprägt wie Saadis berühmtes Gedicht, welches in der Eingangshalle der UNO auf Englisch und Farsi steht:

 Of one Essence is the human race,
Thusly has Creation put the Base;
One Limb impacted is sufficient,
For all Others to feel the Mace.

 Die Gedichte von  Khossrau plädieren ebenso für die gegenseitige Liebe zwischen Menschen jeglicher Religion und Konfession. In einem seiner Gedichte lesen wir:

Zabaan-e yaar-e man Turkie, wa man Turkie nami daanam,
Che khush boodi agar boodi zabaan ash dar dahanay man.

Die Zunge (hier  Sprache) meiner Geliebte ist Türkisch und ich kann kein Türkisch.

Wie wäre es wohl, wenn ihre Zunge (Sprache) in meinem Mund gewesen wäre? 

 Er wird von Hindus genauso wie von Moslems geehrt. Die Völker der Türkei und der zentralasiatischen Staaten betrachten ihn als ihren eigenen Dichter. In diesem Zusammenhang schreibt Dr. Masood Haider (2001): “His work is the common heritage of the peoples of central Asia, Afghanistan, Pakistan and India.”  

 Khossrau ist der Erfinder von Musikformen wie „Naht“, „Qaul“ bzw. Qawali, Tarana (Lieder) sowie „Naqsch“ und „Gul“ (Muster und Bild), die zu den bekannten Melodieformen auf dem Boden des damals noch nicht gespaltenen Indiens gehören. Ca. um 1300 n. Chr. machte Amir Khosssrau die Musikform „Qawali“ am Hofe des nordindischen Sultans in der Hauptstadt Delhi salonfähig. Das gilt auch als die Geburtsstunde dieser Musikrichtung und Gedichtgattung. Qawali-Gedichte werden in Begleitung von Musikinstrumenten wie Tabla und Harmonia, insbesondere in Nordindien, Pakistan und Afghanistan vorgetragen. 

"Qawali" mit und ohne Musikinstrumenten werden für die Dichter, Mystiker,  aller Sprachen der Region veranstaltet. Berühmt für diese Qawali-Abende sind die Veranstaltungen aus Anlass des Geburts- und Todestags eines der größten Dichters der Sprache Paschtu, Abdul Rahman Mohmand, als Rahman Baba (Vater der Dichtung Paschtu) und „Nachtigall von Peshawar“ bekannt. Afghanische Sänger und Musikanten, die als Flüchtlinge in Peshawar lebten, haben jeden Donnerstag Abend am Grab des Dichters, in seinem Schutz vor den musikfeindlichen islamischen Eiferern, Musikveranstaltungen organisiert. Die Taliban haben in ihrer fünfjährigen Herrschaft in Afghanistan nicht nur die Skulpturen zerstört, sondern auch viele Musikinstrumente. Sie verboten jegliche Form von Musik und Gesang, u.a. auch die Qawalis in Afghanistan. 

 „Naht“ und „Qawali“  sind selbst an Trauertagen wie „Aschura“ - am 10. des ersten islamischen Mondmonats „Moharam“ - erlaubt. An diesem Tag fand das Enkelkind des Propheten Mohammad das von Moslems geehrt und insbesondere von Schiiten als Imam Hossain verehrt wird, den Märtyrertod. 

Khossrau Dehlawi wird als einer der Pioniere der Dari-Dichtung mit indischer Versform und der klassischen indischen Musik betrachtet, zumal er die dritte indische Musikrichtung Raga Khyal (persisch: Khyal =Traum) kreierte. Er steht deshalb bei Hindus und Moslems in hohem Ansehen und Respekt, weil er die Melodie, Metrik, Musik und Musikinstrumente der einfachen Bevölkerung in den nordindischen Sultanaten und in den Gebieten in Zentralasien einschließlich Afghanistans wiederbelebte.

Ferner wird ihm die Konstruktion von Tabla und dohlak“ (kleine Trommel) zugeschrieben, Schlaginstrumenten, welche in Afghanistan, Pakistan und Indien zu festen Bestandteilen der Ausrüstung  professioneller Musiker sowie von Amateuren gezählt werden.

Der Überlieferung zufolge soll er die Tabla aus der Spaltung einer Trommel (in Indien Pakawaji genannt), geschaffen haben. Ferner soll er inspiriert von dem Instrument Rubab (Musikinstrument mit zwei Korpi) Sitar (auf Farsi bedeutet Instrument mit dreißig Saiten) gebaut haben, wobei sich die beiden nebeneinander stehenden Korpi der Rubab seit je nicht verschoben haben. Doch was die Saitenanzahl anbelangt, besitzen beide Instrumente zwischen 18 – 21 Saiten, wobei Sitar und Rubab jeweils zwischen 6-7 Haupt- bzw. Spielsaiten und zwischen 11- 14 Resonanzsaiten besitzen. Damals wurden die Musikinstrumente aus zwei Kürbissen gebastelt. Er trug dazu bei, dass sie nun aus einem Baumstamm gemeißelt werden und zwar aus einem Stamm des Maulbeerbaums.

Indien schätzt seinen Beitrag zur indischen Musik genauso wie die Musiker in Afghanistan und Pakistan. Obligatorische Besuche an seinem Schrein stehen auf dem Lehrplan der Musikkonservatorien, an denen auch junge afghanische Musiker lernen. 

Musik, Tanz und Gesang gehörten auf dem Boden des heutigen Afghanistan als Kulturgut unzertrennlich zum Leben und zu den Ritualen der großen Religionen Zoroastrismus und Hinduismus bis zum Fall der Sassaniden und der hinduistischen Kabulschaian (Könige von Kabul im 7.-10. Jh. n. Chr.) am Hindukusch (Berge der Hindus). Ohne Tanz und Gesang, Lieder und Rezitieren von Gedichten waren bis zur Machtergreifung der Taliban Hochzeiten, Geburten und Knaben-Initiationsfesten unvorstellbar, egal ob im Tal in der Burg oder am Hof. 

Die Musiker der Kabuler Altstadt „Kharabat“ (Taverne) haben u.a. durch Lieder und Musikrichtung von Khossrau Dehlawi vor ca. 150 Jahren die typische Musik und Musikinstrumente in Afghanistan wiederbelebt. Sie lebten in dem berühmten Musikanten-Viertel, einem Teil der historischen Stätten der 3000jährigen Stadt, die nicht nur Opfer der Modernisierung in den 40er Jahren des vorigen Jahrhunderts wurde, sondern auch eines viertel Jahrhunderts des Krieges und der Bomben. 

Die großen indischen Musiker, Sitarspieler und Sänger wie Ustad Nasrat Ali Khan und Ustad Aschoq Ali Khan, bekannt als „Licht von Punjab“ interpretierten seine Raga Khyal, in Indien auch [Kyal] geschrieben. Der legendäre, in Kharabat geborene Sänger Afghanistans Ustad Sarahang, Meister von Raga- Jalali [Djalali] und Schüler von Ustad Aschug Ali Khan, sang seine Lieder und in der Musik-Richtung Raga Khyal. Ustad Sarahang wurde in Indien zuletzt als „Sar Taj Mousigi“ (Krönung des Gipfels der Musik) und in anderen Städten Indiens mit Hunderten von Auszeichnungen geehrt. 

Das Charakteristische an der Dichtung und an der Musik von  Khossrau war, dass er die Ausdrücke, Töne, Melodien und Rhythmen der alltäglichen Arbeit der einfachen Bevölkerung mit einbezog. Er verwendete diese Töne, Geräusche, Rhythmen, Melodien und Takte, die in der Natur vorkommen und in den Werkstätten und Bazaren zu hören waren, für seine Musik und Lieder. 

Der „Daria-Tal“ (Fluß-Takt) und „Dunia-Tal“ sind seine bekanntesten Ragas. 

In den Bazaren befanden und befinden sich noch die Werkstätten der Baumwollaufbereitungsanlagen, die durch verschiedene Aufbereitungsprozesse, etwa durch Kardieren, Riffeln, Rotten, Brechen, Schwingen und Hecheln gewonnen, gelöst und aufgelockert werden. 

So entwickelte Khossrau z.B. aus den Tönen des uralten Werkzeuges von „Chalifa Nadaf“ (Meister-Hechler) bei der Baumwollproduktion und –reinigung [Kaman] (Bogen) und [Gorrz] (Keule)) sein „Dunia-Tal“ bzw. „Jahan-Tal“ , das mit „Welt-Takt“ bzw. „Welt und Wesens-Takt“ übersetzt werden kann. 

„Kaman“ besteht aus zwei Bögen. Der erste flexible Bogen wird entweder an einem Gestell bzw. an einem Dachbalken oder einem Baumast befestigt. In der Mitte des mit einer Sehne an den beiden Seiten des gespannten Bogens wird ein zweiter aus Darmsaite bestehender Bogen aufgehängt, so dass dadurch der zweite lange, in sich feste Bogen zu allen Seiten beweglich ist. 

Der Chalifa Nadaf reißt mit seiner „Gorrz“, Keule, die Saite des am Boden befindlichen Bogens an, der halb unter den Baumwollhaufen gestellt wird. Die Saite schleudert die deformierten bzw. fest-feuchten Baumwollklumpen durch die erzeugten Schwingungen in die Luft. Die weiteren darauf folgenden Schläge befreien die restlichen um die Saite gewickelten Stücke Baumwolle. Durch diese Methode wird die gebrauchte Baumwolle für Möbel, Matratzen und Kissen wieder aufgelockert und zugleich gereinigt und getrocknet.



Kamantscha ist das traditionelle, mindestens 1600 Jahre alte Streich - und Saitenmusikinstrument, das in Zentralasien und Indien vorkommt.

 Khossrau Dehlawi, der auch liebe- und ehrenvoll als „Tuti e Hindi“ (Singvogel bzw. Papagai Indiens) bezeichnet wird, rettete Musik, Gesang und Tanz im zentralasiatischen Raum in den indischen Sultanaten.

  Dank der Mystikerinnen und Mystiker der islamischen Renaissance wurde Sama (Musik ) eigentlich „Zuhören“ und „Sas“ für Musik (eigentlich „Konstrukt“), „Sasenda“ (doppeldeutig: Konstrukteur und der durch Musik am Leben ist“) zur Musikspiritualität und -rituale, mittels derer das Göttliche erreicht werden kann und durch die erhabenen Töne und Melodien kann eine Vereinigung mit dem Gott erreicht werden. Als Argument gegen die Fundamentalisten brachten sie vor, dass selbst die Koranschüler die heiligen Verse mit Klang und Reim, Intonation und Akzent rezitieren müssten, andernfalls würden sie nicht erhört.

 Im Sonnenjahr 704 (1325 n.Chr.), einige Monate nach dem Tode seines Mentors, starb  Khossrau in Delhi. Sein Grab befindet sich in der Nähe des Grabes seines Mentors, Nizamuddin Aulia. Es ist nach Mazar e Scharif (Balch) der zweitgrößte Wallfahrtsort in Zentralasien und Nordindien. 


Für die beiden Mystiker veranstaltet Indien in verschiedenen Städten tagelange Musikveranstaltungen, insbesondere in den Tagen der Pilgerfahrt (Urs) zu ihren Gräbern, zu deren Ehrerbietung Hunderttausende von Menschen verschiedener Religionen und Nationen herbeieilen, um die Meister der Liebe zu ehren. Liebhaber der Musik und Dichtung, insbesondere junge Frauen nehmen einen Faden (wie Freundschaftsbänder), die deswegen an seinem Grab hängen und binden ihn um ihre Handgelenke. Somit wissen sie seine geistige Kraft als „Sultan der Herzen“ zu schätzen, und sie glauben, dass ihre Wünsche in Erfüllung gehen. Eine der Besonderheiten dieses Wallfahrtsortes ist der Eintrag in ein Gästebuch, der heute in EDV-Form gespeichert wird.

1. In Urdu, Farsi und Hindi wird Dehli (Stadt des Herzens) so geschrieben; „Delhi“ ist die europäische Schreibweise.

Dr. Mir Hafizuddin Sadri


 
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