Ibrahim ibn Adham
Abu Ishaq Ibrahim ibn Adham, aus reinem arabischem Geblüt, geboren in Balkh, wird in den Sufi Geschichten als Prinz beschrieben, der auf sein Königreich verzichtete (so ähnlich wie der Buddha) und westwärts wanderte, um ein Leben in vollkommener Enthaltsamkeit zu führen und der bis zu seinem Tod im Jahre 165 (782) sein täglich Brot mit ehrlicher, manueller Arbeit in Syrien verdiente. In einigen historischen Dokumenten wird festgehalten, dass er in einer Seeschlacht gegen Byzanz getötet wurde. Die Geschichte seines Eintritts in den Islam ist klassisch für einen muslimischen Lebenslauf.
Die Geschichte des Ibrahim ibn Adham
Ibrahims Karriere der Heiligkeit begann folgendermaßen. Er war der König von Balkh und gleichsam eine ganze Welt stand unter seinem Befehl; vierzig goldene Schwerter und vierzige goldene Harnische wurden vor und hinter ihm hergetragen. Eines Nachts war er auf seiner königlichen Couch eingeschlafen. Um Mitternacht begann das Dach über seinem Zimmer so zu zittern, als würde jemand darüber laufen.
„Wer ist da?“ rief er.
„Ein Freund“, kam die Antwort, „ich habe ein Kamel verloren und suche es hier auf dem Dach.“
„Narr, suchst du ein Kamel auf dem Dach?“ rief Ibrahim.
„Du Unbedachter, suchst du Gott in silberdurchwirkten Kleidern, auf einer goldenen Couch?“
Diese Worte erfüllten sein Herz mit Furcht. Ein Feuer entzündete sich in seinem Inneren und er konnte nicht mehr einschlafen. Bei Tagesanbruch kehrte er zu seinen Geschäften zurück und setzte sich auf seinen Thron, gedankenvoll, verwirrt und achtsam. Die Minister standen auf ihren Plätzen, die Sklaven penibel aufgereiht; eine Generalaudienz war ausgerufen worden.
Da erschien ein Mann mit fürchterlichem Aussehen im Audienzsaal, so furchterregend sah er aus, dass sich keiner der königlichen Beamten und Diener ihn nach seinem Namen zu fragen getraute. Allen blieb ihre Zunge am Gaumen kleben. Langsam, in gemessenem Schritt näherte er sich dem Thron, bis er vor ihm stand.
„Was wünscht du?“ wollte Ibrahim wissen.
„Ich habe ein Auge auf diese Karawanserei geworfen“, sagte der Mann.
„Dies ist keine Karawanserei, dies ist mein Palast. Du bist wohl verrückt“, schrie Ibrahim.
„Wem gehörte dieser Palast vor dir?“ fragte der Mann.
„Meinem Vater“, antwortete Ibrahim.
„Und vor ihm?“
„Meinem Großvater.“
„Und vor ihm?“
„Dem so-und-so.“
„Und wem davor?“
„Dem Vater des so-und-so.“
„Wo sind die alle hin verschwunden?“ fragte der Mann.
„Fort sind sie, sie sind gestorben“, antwortete Ibrahim.
„So ist das dann hier keine Krawanserei, wo der eine kommt und der andere geht?“
Mit diesen Worten verschwand der Mann. Es war Kidhr gewesen, der Friede sein mit ihm. Das innere Feuer, welches nun in ihm entzündet war, brannte immer heftiger in seiner Seele und seine innerliche Qual steigerte sich ins Unermessliche. Visionen untertags folgten Stimmen, die er des Nachts vernahm, gleichermaßen geheimnisvoll wie unfassbar.
„Sattelt mein Pferd“, rief Ibrahim letztendlich. “Ich will mich auf die Jagd begeben. Ich weiß nicht, wie mir heute geschieht. Herr, Gott, wie soll dies alles noch enden?“
Sein Pferd war gesattelt und er begab sich auf die Jagd. Kopflos, völlig außer sich, galoppierte er in die Wüste. In seiner Verwirrung wurde er von der Jagdgesellschaft getrennt und da hörte er auf einmal eine Stimme.
„Wach auf!“
Er gab vor, nichts gehört zu haben und ritt weiter. Ein zweites Mal ertönte die Stimme, doch er beachtete sie nicht. Ein drittes Mal ertönte die Stimme, und wieder verschloss er sich ihr. Da ertönte die Stimme ein viertes Mal.
„Wach auf, bevor du hinweggefegt wirst!”
Nun verlor er völlig die Kontrolle über sich. Da sprang ein Wild vor ihm auf und Ibrahim machte sich zum Schuss bereit. Da richtete das Tier das Wort an ihn.
„Ich wurde geschickt, um dich zu jagen. Du kannst mich nicht treffen. Wurdest du dafür erschaffen oder folgst du einem Befehl?“
„O, was geschieht mir nun wieder“, rief Ibrahim.
Und er wandte sich von der Antilope ab. Daraufhin hörte er die gleichen Worte aus seinem Sattelknauf kommen. Angst und Furcht ergriffen ihn. Die Offenbarung wurde noch klarer, denn der Allmächtige Gott wollte sie zum Abschluss bringen. Ein drittes Mal hörte er die Stimme aus dem Kragen seines Umhangs kommen. Nun war die Offenbarung zu ihm durchgedrungen und die Himmel öffneten sich ihm. Gesicherter Glaube war ihm nun zu eigen geworden. Er stieg vom Pferd und all seine Kleider, selbst das Pferd waren voll mit seinen Tränen. Er bereute ehrlich und aufrichtig. Abseits des Weges erblickte er einen Schäfer, der Fellkleider und eine Fellmütze trug, welcher seine Schafe vor sich her trieb. Bei näherem Hinsehen erkannte er, dass es einer seiner eigenen Sklaven war. Diesem schenkte er seine reich bestickten Gewänder, seine juwelenbesetzte Kappe und die Schafe, die ihm ja gehörten. Vom Schäfer übernahm er dessen Gewand und Fellmütze und zog diese an. Alle engelhaften Zeugen standen um Ibrahim und blickten auf ihn.
„Welch Königreich ist dem Sohne Adhams zuteil geworden“, riefen sie, „das schmutzige Gewand der Welt hat er verworfen und das ruhmreiche Kleid der Armut hat er sich angetan.“
In diesem Zustand ging er zu Fuß weiter, über Berge und endlose Wüsten, über seine Sünden klagend, bis er nach Merv kam. Dort gewahrte er einen Mann, der gerade von einer Brücke fiel und von den Fluten fortgespült zu werden drohte. Von weitem rief Ibrahim:
„O Gott, rette ihn!“
Der Mann blieb quasi in der Luft hängen, bis die Retter zu ihm gelangt waren und ihn wieder heraufziehen konnten. Völlig verblüfft waren sie über Ibrahim und sie riefen.
„Was für ein Mensch ist das?“
Ibrahim verließ diesen Ort und wandte sich gen Nishapur. Dort suchte er sich einen verfallenen Ort, an dem er sich der Gehorsamkeit Gottes widmen konnte. Letztlich bezog er die berühmte Höhle, die er für neun Jahre lang bewohnte; in jeder ihrer Kammern blieb er drei Jahre. Wer weiß, womit er die langen Tage und Nächte dort beschäftigt war? Es brauchte schon einen mächtigen, außergewöhnlichen Mann, um dort alleine die Nächte zu verbringen.
Jeden Donnerstag stieg er über die Höhle hinaus und sammelte Feuerholz, welches er am nächsten Tag nach Nishapur trug, um es dort zu verkaufen. Um den Erlös kaufte er dann nach dem Besuch des Freitagsgebets Brot, von dem er die Hälfte an Bettler abgab und mit der anderen Hälfte brach er sein Fasten. So hielt er es jede Woche.
Einmal, es war Winter und empfindlich kalt, musste er das Eis im Krug zerbrechen, um sich waschen zu können. Die ganze Nacht verbrachte er bis zum Morgen zitternd im Gebet. Bei Sonnenaufgang war in Gefahr zu erfrieren. Zufällig kam im der Gedanke an Feuer in den Sinn und er sah einen Pelz am Boden liegen. Diesen wickelt er sich um und fiel in tiefen Schlaf. Als er erwachte, war es taghell und ihm war wieder warm geworden. Da sah er, dass das Fell ein Drache gewesen war, mit tellergroßen, blutunterlaufenen Augen. Da überkam ihn große Furcht.
„Herr Gott“, rief er, „dieses Ding hast Du mir in schöner Form geschickt, nun erblicke ich in ihm das Grauen, welches ich nicht ertragen kann.“
Sofort rückte der Drache von ihm ab, rieb sein Gesicht zwei-, dreimal am Boden und verschwand.
Ibrahim geht nach Mekka
Als sich die Kunde über Ibrahims Taten unter den Menschen verbreitete, floh er aus der Höhle und wandte sich nach Mekka. In der Wüste traf er auf einen der Großen des Glaubens, welcher ihn den Höchsten Namen Gottes lehrte und ihn dann verließ. Ibrahim rief Gott bei diesem Namen und sofort erschien Khidr, der Friede sei auf ihm.
„Ibrahim“, sagte Khidr, „das war mein Bruder David, der dich den Höchsten Namen Gottes lehrte.“ Viele Worte wechselten dann noch zwischen Khidr und Ibrahim. Folgendes erzählte Ibrahim über die nächste Station seiner Pilgerreise.
„Als ich nach Dhat al-‘Erq gekommen war, sah ich dort siebzig Männer in Flickenröcken gekleidet, tot auf der Erde liegen. Das Blut quoll ihnen aus Nasen und Ohren. Da bemerkte ich einen, in dem noch ein Funken Leben steckte. „Junger Mann“, rief ich, „was ist hier passiert?“
„Sohn des Adham“, antwortete er, „halte dich an das Wasser und die Gebetsnische. Geh nicht zu weit, auf dass du nicht verbannt wirst und komm nicht zu nahe, auf dass du nicht beschämt werdest. Lass keinen Menschen zu kühn vor dem Sultan erscheinen. Habe Furcht um dein Leben, vor dem Freund, der Pilger abschlachtet, als wären sie griechische Ungläubige und der Krieg gegen die Pilger führt. Wir sind eine Sufi Gemeinschaft, die in Gottvertrauen in die Wüste aufgebrochen war, bereit kein Wort zu verlieren, an nichts anderes, denn an Gott zu denken, sich fort zu bewegen und doch nur Gott im Auge und kein anderes Ziel, als Ihn im Sinn zu behalten. Als wir die Wüste durchschritten hatten und an den Ort gelangt waren, an dem sich die Pilger in Weiß kleiden, erschien Khidr, der Friede sei auf ihm, unter uns. Wir grüßten ihn und er erwiderte unseren Gruß, worauf wir sehr glücklich waren und sprachen: „Gelobt sei Gott, diese Reise ist gesegnet, der Verlangende hat sein Verlangen erreicht, denn solch eine heilige Person ist erschienen, um uns zu treffen.“ Da rief eine Stimme in unserem Inneren, „Ihr Lügner, ihr Heuchler, Mich habt ihr vergessen und euch mit anderen beschäftigt. Geht fort! Frieden werde Ich mit euch nicht machen, bis ich eure Seelen in Vergeltung von euch genommen habe und euer Blut mit dem Schwert des eifernden Zorns vergossen habe.“ Diese tapferen Männer, die du hier alle liegen siehst, sind die Opfer dieser Vergeltung. Hab Acht, Ibrahim. Auch du trägst dieselben Bestrebungen in dir. Halt ein oder geh weit fort von hier!“
“Warum haben sie dann dich verschont?” fragte ich tief verwundert ob dieser Worte.
„Sie sagten, „Diese hier sind reif, doch du bist noch roh. Bleib noch ein wenig am Leben und bald bist auch du reif und wenn du reif geworden bist, wirst du ihnen folgen.“ Mit diesen Worten gab er seinen Geist auf.“
Vierzehn Jahre lang zog Ibrahim durch die Wüste, ständig in Demut und im Gebet. Als er in die Nähe Mekkas gelangte, und die Ältesten davon Kunde erhielten, kamen sie vor die Stadt, um ihn zu begrüßen. Er eilte der Karawane voran, damit ihn keiner erkennen sollte. Ihre Diener waren den Ältesten vorausgegangen und sahen Ibrahim vor der Karawane gehen, doch sie erkannten ihn nicht, denn sie hatten ihn noch nie zuvor gesehen. Als sie bei ihm angelangt waren riefen sie: „Ibrahim ibn Adham ist in der Nähe. Die Ältesten des Haram sind gekommen um ihn zu treffen.“
„Was wollt ihr von diesem Häretiker?“ wollte Ibrahim wissen.
Sogleich drangen sie auf ihn ein und verprügelten ihn.
„Die Ältesten des Haram kommen um ihn zu begrüßen und du nennst ihn einen Häretiker?“ schrieen sie.
„Ich sage, er ist ein Häretiker“, wiederholte Ibrahim.
Als sie von ihm abließen, wandte Ibrahim sich zu sich selbst.
„Ha“, schimpfte er, „du wolltest, dass die Ältesten zu dir herauskämen und dich begrüßen. Nun gut, du hast ein paar Hiebe erhalten. Gepriesen sei Gott, dass ich Deinen Wunsch habe in Erfüllung gehen sehn!“
Ibrahim ließ sich dann in Mekka nieder und ein Kreis von Gefährten scharte sich um ihn und er verdiente sein Brot durch seiner Hände Arbeit als Zimmermann.
Ibrahim wird von seinem Sohn in Mekka besucht
Als Ibrahim ibn Adham Balkh verließ, hatte er einen Sohn im Säuglingsalter zurückgelassen. Dieser, in der Zwischenzeit erwachsen geworden, fragte seine Mutter eines Tages nach seinem Vater.
„Dein Vater ist verschollen“, gab sie ihm Auskunft.
Daraufhin ließ der Sohn verlautbaren, dass alle sich versammeln mögen, welche die Pilgerfahrt unternehmen wollten. Viertausend kamen zusammen. Er erstattet ihnen allen die Reiseausgaben für Versorgung und Reittiere und führte die Gruppe Richtung Mekka, in der Hoffnung, dass Gott ihm seinen Vater unter die Augen führen wollte. In Mekka angelangt, fanden sie am Tor zur Heiligen Moschee eine Gruppe Sufis in ihren Flickenröcken.
„Kennt ihr Ibrahim ibn Adham?“ wollte der Sohn wissen.
„Er ist ein Freund von uns“, antworteten sie, „er versorgt uns und ist gerade unterwegs, um Essen zu besorgen.“
Der Sohn verlangte, dass sie ihn zu ihm führen sollten. Sie folgten seiner Spur und so gelangte die Gruppe zum unteren Teil Mekkas und dort sah er seinen Vater barfuss und ohne Kopfbedeckung mit einem Haufen Feuerholz des Weges kommen. Tränen stiegen in ihm hoch, doch er beherrschte sich und folgte seinem Vater bis zum Markt. Dort hub sein Vater an zu rufen:
„Wer will gutes Zeug für gutes Zeug kaufen?“
Ein Bäcker kaufte ihm das Holz für Brot ab. Ibrahim nahm das Brot und brachte es seinen Freunden.
„Wenn ich ihm sage wer ich bin“, fürchtete der Sohn, „wird er von mir fort laufen.“
So suchte er bei seiner Mutter Rat, wie er sich wohl seinem Vater am Besten nähern sollte. Seine Mutter empfahl ihm Geduld.
„Hab’ Geduld, bis wir die Pilgerfahrt erfüllt haben.“
Nachdem der Sohn sich entfernt hatte, nahm Ibrahim bei seinen Gefährten Platz.
„Diesesmal sind Kinder und Frauen unter den Pilgern, nehmt eure Blicke in acht“, ermahnte er sie. Sie nahmen seine Mahnung an und als die Pilger den Platz um die Kaaba betraten und sie umkreisten, umrundeten Ibrahim und seine Gefährten ebenfalls das Heilige Haus. Ein hübscher Junge trat nahe an ihn heran und Ibrahim blickte ihn sehnsüchtig an. Seine Freunde bemerkten dies und wunderten sich darüber, doch warteten sie, bis sie die Umrundungen beendet hatten.
„Gott habe Erbarmen mit dir!“ sagten sie dann zu Ibrahim, „uns hast du befohlen nicht auf die Frauen oder Kinder zu blicken und du selbst starrst dann einen hübschen Jungen an.“
„Habt ihr das denn gesehen?“ rief Ibrahim.
„Wir haben es gesehen“, antworteten sie.
„Als ich Balkh verließ“, erzählte ihnen Ibrahim, ließ ich dort einen Sohn im Säuglingsalter zurück. Ich weiß, dieser Bursche ist dieser Sohn.“
Am nächsten Tag machte sich einer der Gefährten Ibrahims früher als dieser auf, um nach der Karawane aus Balkh zu sehen. Als er sie fand, erblickte er in deren Mitte ein Zelt, ganz mit Brokat bestickt. Im Zelt war ein Thron aufgestellt, auf welchem der Junge saß, der aus dem Qur’an rezitierte und dabei Tränen vergoss. Ibrahims Freund erbat die Erlaubnis eintreten zu dürfen.
„Woher kommst du?“ fragte er.
„Aus Balkh“, antwortete der Junge.
„Wessen Sohn bist du?“
Der Knabe schlug seine Hände vors Gesicht und schluchzte.
„Ich habe meinen Vater nie gesehen“, sagte er und legte den Qur’an zur Seite, „nie, bis auf gestern – und ich weiß nicht, ob er es war oder nicht und ich fürchte, dass, wenn ich ihn anspreche, er fortlaufen wird, wie er es schon einmal getan hat. Mein Vater ist Ibrahim ibn Adham, der König von Balkh.
Der Mann nahm in an der Hand, um ihn zu Ibrahim zu bringen. Auch seine Mutter erhob sich und begleitete ihren Sohn. Ibrahim saß mit seinen Gefährten am Jemeniter Eck, als sie ihn fanden. Von Ferne schon hatte er seinen Freund, den Knaben und seine Mutter erspäht. Sobald die Frau ihn erblickte, schrie sie laut auf und konnte nicht mehr länger an sich halten.
„Das ist dein Vater.“
Ein unglaublicher Tumult entstand. Die Freunde Ibrahims und alle Umherstehenden brachen in Tränen aus. Sobald sich der Knabe wieder gefasst hatte, grüßte er seinen Vater. Der Vater erwiderte seinen Gruß und umarmte ihn.
„Welcher Religion folgst du?“
“Der Religion des Islam”, antwortete sein Sohn.
„Gott sei gepriesen“, rief Ibrahim. „Kennst du den Qur’an?“
„Ja.“
„Gepriesen sei Gott. Hast du den Glauben studiert?“
“Ja, das habe ich.”
Nun wollte Ibrahim fort, doch der Knabe ließ ihn nicht gehen. Seine Mutter schluchzte lauthals. Sein Gesicht zum Himmel gewandt, schrie Ibrahim, „O Gott errette mich!“
Noch im gleichen Moment verstarb der Knabe in seinen Armen.
„Was ist passiert, Ibrahim?“ riefen seine Gefährten aus.
„Als ich ihn in die Arme nahm“, erklärte Ibrahim, „erwuchs in meinem Herzen große Liebe zu ihm und da sprach eine Stimme zu mir, „Ibrahim du behauptest Mich zu lieben, und doch liebst du jemanden anderen neben Mir. Du verpflichtest deine Gefährten keine fremde Frau oder fremdes Kind anzusehen und doch hast du dein Herz dieser Frau und diesem Kind geöffnet“ als ich dies hörte, betete ich, „Gott der Herrlichkeit, komm zu meiner Rettung! Er wird mein Herz so sehr in Beschlag nehmen, dass ich Dich zu lieben vergessen werde. Nimm entweder sein Leben oder meines.“ Sein Tod war die Antwort auf mein Gebet.“
Eines Tages wurde Ibrahim befragt, „Was ist über dich gekommen, dass du dein Königreich aufgegeben hast?“
„Man ließ mich eines Tages auf meinem Thron Platz nehmen“, erinnerte er sich, „und man brachte mir einen Spiegel. Ich blickte in diesen Spiegel und erkannte, dass meine Heimstatt mein Grab wäre und mich kein Freund dahin begleiten würde. Ich sah eine lange Reise vor mir und ich hatte keinerlei Proviant mit mir. Ich erblickte einen gerechten Richter und ich hatte keinerlei Verteidigung. So widerte mich mein Königtum an.“
„Warum bist du aus Khorasan geflohen?“ fragten sie.
„Ich hörte viel Gerede dort, vom wahren Freund“, antwortete er.
„Warum suchst du dir keine Frau?“ wurde er gefragt.
„Nimmt denn irgendeine Frau einen Mann, damit er sie hungrig und durstig hält?“ gab er zurück.
„Nein“, antworteten sie.
„Darum heirate ich nicht“, fügte er erklärend hinzu. “Jede Frau, die ich heiratete, würde hungrig und ohne Bekleidung bleiben. Wenn es mir nur möglich wäre, ließe ich mich scheiden. Wie könnte ich da eine andere an meinen Sattel binden?“
Dann wandte er sich an einen bei ihnen sitzenden Bettler. „Hast du eine Frau?“
„Nein“, antwortete der Bettler.
„Hast du ein Kind?“
“Nein”.
“Sehr gut”, rief Ibrahim.
„Warum sagst du das?“, fragte ihn der Bettler.
„Ein Bettler der heiratet ist wie einer, der ein Schiff betritt. Wenn die Kinder kommen, geht er unter.“
Eines Tages traf Ibrahim einen Bettler, der sein Schicksal beweinte.
„Ich nehme an, du hast die Bettelei gratis erworben“, bemerkte er.
„Wieso, ist denn die Bettelei zu kaufen?“ wollte der Bettler erstaunt wissen.
„Natürlich“, antwortete Ibrahim. „ich habe es mit dem Königreich von Balkh gekauft, ich habe einen Handel abgeschlossen.“
Einmal brachte jemand Ibrahim eintausend Dinar.
„Nimm“, sagte der Mann.
„Ich nehme nichts von Bettlern“, erwiderte Ibrahim.
„Aber ich bin reich“, wandte der Mann ein.
„Willst du mehr, als du schon hast?“ fragte Ibrahim.
„Bestimmt“, rief der Mann aus.
„Dann nimm das Geld zurück“, sagte Ibrahim, „du bist der Chef der Bettler und wahrlich, das ist nicht Bettelei, sondern reinste Bedürftigkeit.
Man erzählte Ibrahim von einem ekstatischen jungen Mann, der außergewöhnliche Erfahrungen machte und sich selbst dabei ordentlich disziplinierte.
„Bringt mich zu ihm, so dass ich ihn mir ansehen kann“, sagte Ibrahim.
So brachten sie ihn zu dem jungen Mann.
„Sei drei Tage mein Gast“, lud ihn der junge Mann ein.
Ibrahim blieb drei Tage lang und beobachtete den Zustand des Jungen aufmerksam. Alles war so, wie seine Freunde es geschildert hatten. Alle Nächte blieb er wach und ruhelos und schlief nicht einen Moment. Ibrahim verspürte eine gewisse Eifersucht.
„Ich bin so ruhig und er bleibt ohne Schlaf und Ruhe die ganze Zeit. Lasst uns herausfinden, ob irgendetwas Satanisches seinen Zustand beeinflusst oder dieser gänzlich rein ist, wie es sein sollte. Ich muss die Wahrheit darüber herausfinden“, sprach Ibrahim zu sich selbst, „Die Ursache und die Grundlage für alles liegt in dem, was einer isst.“
So beobachtete er, was der junge Mann zu sich nahm und fand heraus, dass es aus unreiner Quelle stammte.
„Großer Gott“, rief Ibrahim aus, „es ist teuflisch!“
„Ich war dein Gast drei Tage lang“, sagte er zu dem Jungen, „nun sei du mein Gast für vierzig Tage.“
Der junge Mann nahm an. Nun war die Nahrung, die Ibrahim aß aus rechtmäßiger Quelle, denn er verdiente es durch seine Hände Arbeit. Er nahm den Jungen mit nach Hause und setzte ihm sein eigenes Essen vor. Sofort verschwand seine Ekstase. All seine Spannung und Leidenschaft war verschwunden. Seine Unruhe, Schlaflosigkeit und Weinen waren wie weggeblasen.
“Was hast du mit mir gemacht?” rief er.
„Jawohl“, antwortete Ibrahim, „dein Essen war ungesetzlich. Satan ging ständig ein und aus bei dir. Sobald du rechtmäßiges Essen zu dir genommen hattest, zeigten sich deine ganzen Erscheinungen als das, was sie wirklich waren – Teufelswerk.“
Sahl ibn Ibrahim erzählte folgende Geschichte.
„Einmal war ich mit Ibrahim ibn Adham auf Reisen und unterwegs wurde ich krank. Er verkaufte alles was er besaß und gab es für mich aus. Ich bat ihn um etwas und er verkaufte seinen Esel und gab den Erlös für mich aus.
„Wo ist der Esel?“ fragte ich, als ich wieder genesen war.
„Ich habe ihn verkauft“, antwortete er mir.
„Worauf soll ich denn nun reiten“, verlangte ich zu wissen.
„Bruder“, antwortete Ibrahim, „komm und steig auf meinen Rücken.“ Er nahm mich auf den Rücken und trug mich drei Stationen.“
Jeden Tag ging Ibrahim Lohnarbeit nach und arbeitet bis zum Abend. All seinen Verdienst gab er für seine Freunde aus. Doch bis er sein Abendgebet verrichtet hatte und etwas eingekauft hatte und zu seinen Freunden kam, war es immer schon spät geworden. Eines Abends sagte einer seiner Gefährten: „Heute kommt er aber spät, lasst uns etwas Brot essen und schlafen gehen, das wird ein Hinweis für ihn sein, in Zukunft etwas früher zu kommen.“
So machten sie es auch. Als Ibrahim eintraf und sah, dass sie schon schliefen, dachte er, sie hätten noch nichts gegessen und so zündete er gleich ein Feuer an. Er hatte etwas Mehl mitgebracht und so buk er einige Fladen, die sie essen, wenn sie aufwachten und am nächsten Morgen ihr Fasten halten könnten. Als die Freunde aufwachten, sahen sie ihn mit seinem Bart am Boden, das Feuer anblasen und seine Augen waren voller Tränen vor lauter Rauch.
„Was machst du da?“, fragten sie.
„Ich sah, dass ihr schon schlafen gegangen wart“, antwortete Ibrahim, „und so sagte ich mir, dass ihr vielleicht nichts zu essen habt finden können und hungrig schlafen gegangen seid. So bereite ich etwas, das ihr essen könnt, wenn ihr aufwacht.
„Seht, wie wir an uns dachten, und wie wir über ihn dachten“, riefen sie aus.
„Seit du diesen Pfad betreten hast, hast du jemals Glückseligkeit erlebt?“ wurde Ibrahim gefragt.
„Mehrmals“, antwortete er. „Einmal war ich an Bord eines Schiffs und der Kapitän kannte mich nicht. Ich trug lumpige Kleider und mein Haar war ungepflegt und ich befand mich in einer geistlichen Ekstase, die keiner an Bord wahrnahm. Sie lachten und machten sich lustig über mich. Da war ein besonderer Spaßvogel auf dem Schiff, der mir immer die Haare auszupfte und mich auf den Nacken schlug. In diesen Momenten fühlte ich, dass ich mein Verlangen sich erfüllte und war glücklich, derart erniedrigt zu werden. Plötzlich kam eine große Welle und alle dachten, sie müssten untergehen. „Wir müssen einen überbord werfen“, rief der Maat, „dann wird das Schiff leichter.“ Sie ergriffen mich, um mich ins Meer zu werfen. Das Wasser beruhigte sich und das Schiff lag wieder ruhig. In dem Moment, als sie mich am Ohr ergriffen hatten, um mich ins Wasser zu werfen, fühlte ich mein Verlangen erfüllt und war glücklich.
Ein andermal ging ich zu einer Moschee, um dort zu schlafen. Man wollte mich dort nicht dulden, doch war ich so schwach und erschöpft, dass ich nicht aufstehen konnte. So packten sie mich an den Füßen und schleiften mich hinaus. Nun führen drei Stufen zu dieser Moschee und mein Kopf schlug auf jede dieser drei Stufen, sodass Blut davon floss. Auf jeder Stufe auf der ich aufschlug, offenbarte sich mir das Geheimnis einer ganzen Sphäre. Ich sagte, „Hätte diese Moschee doch mehr Stufen, um meine Glückseligkeit zu mehren!“
Ein anderes Mal war ich umhüllt im Zustand der Ekstase. Ein Witzbold pisste mich an. Auch da war ich glücklich. Und einmal hatte ich eine Pelzjacke an, die voller Fliegen war, die mich gnadenlos peinigten. Da erinnerte ich mich der feinen Gewänder, die ich in meiner Schatzkammer verwahrte. Meine Seele in mir schrie laut auf: „Warum – welche Pein ist das!“ Auch da fühlte ich mein Verlangen erfüllt.
Einmal reiste ich durch die Wüste, ganz auf Gott vertrauend. Einige Tage lang fand ich nichts zu essen. Da erinnerte ich mich an einen Freund, doch sagte ich mir, „wenn ich zu ihm gehe, verliere ich mein Vertrauen in Gott“ und mit folgenden Worten auf den Lippen betrat ich eine Moschee: „Mein Vertrauen lege ich in den Lebendigen, der niemals stirbt. Es gibt keinen Gott außer Ihm.“ Eine Stimme erschallte vom Himmel, „Gepriesen sei der Gott, welcher das Antlitz der Erde von jenen befreit hat, die ihr Vertrauen in Ihn legten“. Ich sagte: „Warum diese Worte?“ Die Stimme antwortete: „Wie kann dieser Mann, der eine lange Reise unternimmt, wegen einem Bissen Essen, den er von einem weltlichen Freund bekommen könnte, wahrhaftig auf Gott vertrauen und dann verkünden. „Ich vertraue auf den Lebendigen, der nicht stirbt“? Du hast das Wort des Vertrauens als Lüge verkauft!““
„Einmal hatte ich einen Sklaven gekauft“, erinnerte sich Ibrahim.
„Wie heißt du?“ fragte ich ihn.
„So wie du mich rufst“, erwiderte er.
„Was isst du?“
„Was du mir zu essen gibst.“
„Welche Kleidung trägst du?“
„Womit du mich kleidest.“
“Was tust du?”
“Was du mir zu tun befiehlst.”
„Was wünscht du?“
„Was hat ein Diener zu wünschen?“ antworte er darauf.
„Du Verkommener“, sagte ich zu mir selbst, „dein ganzes Leben warst du ein Diener Gottes. Nun lerne, was es heißt ein Diener zu sein!“
„Und ich weinte solange, bis ich bewusstlos wurde.“
Niemand hat Ibrahim jemals mit gekreuzten Beinen sitzen gesehen.
Darüber befragt gab er Auskunft:
„Ich saß eines Tages auf diese Art, als ich eine Stimme aus der Luft vernahm, „Sohn des Adham, sitzen Diener so in der Gegenwart ihres Herrn?“ Sofort setzte ich mich aufrecht hin und bereute.“
„Einmal wanderte ich durch die Wüste, auf Gott vertrauend“, erzählte Ibrahim „und drei Tage lang fand ich nichts zu essen. Da kam der Teufel auf mich zu und versuchte mich: „Hast du dein Königreich und all den Luxus aufgegeben, um hungrig auf Pilgerfahrt zu gehen? Du kannst auch ordentlich auf Pilgerfahrt gehen und musst nicht derart leiden.“
Die Rede des Teufels vernehmend, richtete ich meinen Blick zum Himmel und rief:
„O Gott, hast Du Deinen Feind angewiesen, Deinen Freund solcherart zu quälen? Komm und rette mich, denn ich kann die Wüste ohne Deine Hilfe nicht durchqueren.“
„Ibrahim“, rief mir eine Stimme zu, „leere deine Taschen aus, damit Wir hervorbringen, was im Unsichtbaren ist.“